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Klang- und Wortspiele
aus dem winzigen Studio
unterm Himmel
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zurück!
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Ann-Charlott Settgast - eine Erinnerung
"Zirkel Schreibender" heißt das.
Die Deutsche Post Schwerin ist in diesem Fall der Träger, wie man das nennt, Anfang der Siebziger in der DDR.
Ann-Charlott Settgast leitet den "Post-Zirkel". Und ich habe mich beim "Post-Zirkel" angemeldet.
Ich klettere mit Gedichten und, wie ich jedenfalls finde, lustigen Geschichten in der Tasche die enge
Treppe des Fachwerkhauses herauf, gleich hinter der Straßenbahnhaltestelle "Platz der Jugend" in Schwerin.
Die Tür steht offen.
Ihre Stimme ruft aus dem anderen Ende des Wohnungsuniversum, macht so typische Bögen,
ist eine richtige meckelbörgische Altfrauenstimme.
"Komm 'rein, mein Junge!"
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Es sind schon andere da und sitzen tief in alten Sesseln und Stühlen hinter dem großen Tisch mit den Plätzchen.
Ich nehme sie nicht wahr, denn ich glaube in diesem Moment , dass das Fachwerkhaus augenblicklich einstürzt.
Die Räume sind verfüllt bis unter die Decke von Büchern, Zeitschriften und,
(was den eingesperrten DDR-Menschen am meisten verblüfft,) exotischen Mitbringseln aus aller Welt.
Ihr Lebensgefährte Werner Brockmueller war ein Segelschiffskapitän.
Kapitänsbilder prangen an der Wand.
In der Wohnung einer Schriftstellerin, erfahre ich, kann die ganze Welt stecken.
Später weiß ich, dass die Welt sogar in einen Kopf passt, und es ist nur das Problem,
sie von dort wieder heraus auf das Papier zu bekommen.
Aber zunächst muss man einfach nur gaffen auf nautische Gerätschaften, Muscheln, Totems, Vogelkäfige,
Gegenstände ohne scheinbare Bestimmung und nicht einmal zu benennen, nirgends etwas Konfektioniertes,
sondern eine wunderliche Sammlung von Bedeutungs- und Geschichtenträgern.
Die insgesamt jedoch von den Buch- und selbst Zeitungstürmen beherrschte Berglandschaft
steigt hinan bis zu gespannten Netzen an der Decke.
In dieser kleinen Wohnung, in der man nicht mehr treten kann, ist noch Platz zum Fliegen!
Irgendeine verletzte Eule oder Taube pflegt Ann-Charlott gesund.
Die Kinder brächten sowas immer an, die Kinder, für die sie auch schreibt .
Manchmal sitzt die Katze der kleinen, schwarz gekleideten Frau
mit dem gebeugten Rücken tatsächlich auf der Schulter,
während diese meinen schönen Text kopfschüttelnd zerzupft, bis rein gar nichts mehr übrig ist außer dem Zuspruch:
"Du kannst schreiben. Du musst es nur lernen."
Kein Wort bleibt auf dem anderen.
Ich bemerke das schon beim Besprechen der Texte der Anderen.
Natürlich bin auch ich enttäuscht über das ausgebliebene Lobhudeln, über den harten Zugriff der Kritik.
Aber schnell wird daraus ein Erstaunen, weil ich plötzlich dankbar bin, meine Schwächen sehen zu dürfen,
und zwar für immer, alle Schwächen, Zeile für Zeile. Eine Erweckung.
Und manchmal sagt sie auch: "Ach, das ist ja hübsch."
Ann-Charlott stirbt am 5. September 1988 kurz vor dem siebenundsechzigsten Geburtstag.
Ich erfahre das erst viel später, denn ich lebe schon viele Jahre in einer anderen Stadt.
Jemand schickt mir einen Nachruf aus der Zeitung.
Sie hat, lese ich betroffen, einen Wohnungsbrand knapp überstanden,
ausgelöst von einer Stichflamme aus dem Ofen, rief aus dem Fenster um Hilfe.
Mäuse, Meerschweinchen und die Taube starben, einen Wellsittich konnte sie retten.
Zuletzt wohnte sie am Pfaffenteich, Schwerins bescheidener Alster, in einer hellen, geräumigen Wohnung,
die nichts mehr von dem geheimnisvollen Zauber der Klause in der Goethestraße besaß.
Sie hat mit uns selten über ihr Leben gesprochen.
Gute Erzählende können gut zuhören.
Mit sechzehn hat sie zum ersten Mal für die Zeitung geschrieben.
Nach dem Krieg ist sie, 1942 aus Neustrelitz kommend,
wo sie am 12. September 1921 als Tochter einer Lehrerin und eines Versicherungsbeamten zur Welt kommt,
beim Sender Schwerin, schreibt hörstücke.
Einundzwanzig Bücher hat sie verfasst, Gesamtauflage immerhin eine halbe Million.
Neben Jugenderzählungen ("Klaus und seine Freunde") waren das meist historische Romane
über Thomas Müntzer ("Das Regenbogenfähnlein"),
Johann Gutenberg ("Meister der schwarzen Zunft") oder Johannes Kepler ("Weisheit-Narr-Gold").
Um Ida und Ferdinand Freiligrath drehte sich "Miteinander", Bertha von Suttner widmet sie "Wagnis einer Frau".
Un ok up plattdütsch hätt se schräven, für den "Norddeutschen Leuchtturm",
eine Beilage der Regionalzeitung einer sogenannten "Blockpartei".
Der Stoff dafür kommt wieder aus der weiten Welt, die sich auch in ihrer Wohnung staut:
sie erzählt "Ut de Seekist", Kapitänsgeschichten.
Ich weiß, sie erzählt nicht mehr, sondern erzählte.
"Als Anfänger schreib nur in Vergangenheit!" lautet immer ihr Rat. Ausnahmsweise befolge ich ihn heute nicht.
Will ein bisschen Gegenwart erzeugen.
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